Statewatch bittet um Auskunft über Geheimhaltung und Ausnahmen zur Wahrung der Sicherheit in Asyl- und Einwanderungsrechtssachen

Topic
Country/Region
EU

Personen, die in Einwanderungs- und Asylverfahren involviert sind, können mit vielfachen Hindernissen konfrontiert sein, die einer einem rechtlichen Gehör im Wege stehen: einer nicht vertrauten oder unbekannten Sprache, fehlender Prozesskostenhilfe und begrenzten Unterstützungsnetzen. Ferner besteht die Möglichkeit, dass auf geheime Beweismittel zurückgegriffen wird, um ihre Anträge abzulehnen oder ihnen die Einreise in das Staatsgebiet zu verwehren. Um weitere Indizien über das Ausmaß dieses Problems und die Abhilfemöglichkeiten, die das Datenschutzrecht bietet, zu sammeln, hat Statewatch eine Umfrage gestartet, um Nachweise von Betroffenen, Rechtsanwälten und Unterstützungsgruppen einzuholen.

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Den Fragebogen finden Sie hier.

Datenübermittlungen

Eine in Polen lebende ukrainische Aktivistin wird mit einem Verbot der Einreise in den Schengen-Raum belegt. Eine britische Journalistin wird in Italien festgenommen und erhält ein zehnjähriges Einreiseverbot für den Schengen-Raum. Einer saharauischen Aktivistin, die als Kind mit einer Aufenthaltserlaubnis in Italien lebte, wird ein Visum verweigert. Ein Asylsuchender wird in einer internationalen Datenbank als Sicherheitsbedrohung eingestuft, und die Behörden in Zypern – wo er um Schutz ersucht– akzeptieren die Einstufung.

In jedem dieser Fälle wurde den Betroffenen mitgeteilt, die Informationen, die zu ihrer Festnahme und ihrem Ausschuss führte, sei geheim, womit ihnen keine sinnvolle Möglichkeit bleibt, die Entscheidungen anzufechten. Wie Gruša Matevžič vom ungarischen Helsinki-Komitee es darstellt, übernehmen die Gerichte allzu oft die Einstufung der Sicherheitsagenturen, dass jemand eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellt, als gegeben hin und stellen sie nicht infrage.

Wie viele weitere ähnliche Fälle gibt es? Und könnte das Datenschutzrecht eine Möglichkeit bieten, in solchen Rechtssachen gegen die Geheimhaltung anzukämpfen? Mit einem Statewatch-Projekt sollen Antworten auf diese Fragen gefunden werden, und in einer heute gestarteten Umfrage sollen Aussagen von Betroffenen, Rechtsanwälten, Unterstützungsgruppen und anderen eingeholt werden.

Abschaffung der Grenzen für den Informationsaustausch

Ein gemeinsamer Trend der EU-Politik im Verlauf der letzten 20 Jahre ist die Entwicklung von Datenbanken und Informationssystemen, in denen Informationen über Migranten und Asylsuchende gespeichert werden, sodass Strafverfolgungs- und Grenzschutzbehörden darauf zugreifen können.

Es gibt auch eine wachsende Nachfrage nach dem Austausch solcher Informationen, nicht nur unter EU-Behörden, sondern zwischen EU-Behörden und ihren Pendants in Drittländern – die Befugnisse Europols, Informationen über die EU hinaus auszutauschen, sind ausgeweitet worden, ein Plan für den Austausch sicherheitsbezogener Informationen wird zurzeit erarbeitet, und es kamen Fragen nach der Übermittlung von Daten aus Balkan-Ländern über Frontex auf.

Datenschutz: Rechte auf dem Papier, aber was für Abhilfen in der Praxis?

Eines der Grundprinzipien des Datenschutzrechts ist das Recht von Einzelpersonen auf Zugang zu über sie gespeicherten personenbezogenen Daten, was das Recht beinhaltet, fehlerhafte oder rechtswidrig erhobene Informationen berichtigen oder löschen zu lassen.

Der Gerichtshof der EU (EuGH) hat personenbezogene Daten definiert als „ alle Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person“, und hat bestätigt, das Recht auf Zugang sei „nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasst potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur in Form von Stellungnahmen oder Beurteilungen, unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen ‚über‘ die in Rede stehende Person handelt“.

Diese weit gefasste Definition ist im Zusammenhang mit Fällen mit Bezug zur nationalen Sicherheit, wo die Einstufung der Gefährdung durch eine Person nicht nur auf konkreten Sachverhalten, sondern auf den Sichtweisen und Meinungen staatlicher Beamter beruhen kann, essenziell.

Nach neuen EU-Rechtsvorschriften wird jeder Asylsuchende, der als Risiko für die nationale Sicherheit identifiziert worden ist, einem beschleunigten Beschlussfassungsverfahren unterzogen, mit dem bestehende Verfahrensrechte untergraben werden und das wahrscheinlich auch Haft und Abschiebung beinhaltet. In den kommenden Jahren kann die Fähigkeit, solche Einstufungen wirksam anzufechten, durchaus noch wichtiger werden.

Der EuGH hat auch Urteile über das Recht Betroffener, deren Daten über Grenzen hinweg weitergegeben wurden, auf einen wirksamen Rechtsbehelf gesprochen.

Als die Niederlande aufgrund von Informationen, die sie von anderen Staaten erhalten hatten, Schengen-Visumanträge abwiesen, urteilten die Richter, der Staat, der den Antrag ablehne, müsse den Antragsteller zumindest über die konkreten Gründe für die Ablehnung des Antrags und den Staat bzw. die Staaten, die einen Einwand gegen den Antrag erhoben haben, unterrichten, um eine wirksame Anfechtung dieser Einstufung zu ermöglichen.

Womöglich müssen die Behörden und Gerichte auch die tatsächliche Wirksamkeit eventueller Rechtsbehelfe, die ihnen in einem anderen EU-Mitgliedstaat zur Verfügung stehen, oder das Risiko von Misshandlung und Menschenrechtsverletzungen und – wenn Informationen von einem Nicht-EU-Staat weitergegeben worden ist – die Frage, ob das betreffende Land gleichwertige Datenschutzstandards wie das EU-Recht bietet, bewerten.

EU-Rechtsprechung zum Zugang zu Beweismitteln in Rechtssachen mit Bezug zur nationalen Sicherheit gibt es seit über einem Jahrzehnt, und darin wird klargestellt, dass das Recht eines Menschen auf einen wirksamen Rechtsbehelf nur im zwingend erforderlichen Umfang beschränkt werden kann und dass der Antragsteller mindestens über die wesentlichen Gründe, auf denen diese Entscheidung beruht, unterrichtet werden muss.

Der Luxemburger Gerichtshof hat ferner klargestellt, dass die nationalen Gerichte verpflichtet sind, jede Rechtssache einer gründlichen Einzelfallprüfung zu unterziehen – so könne eine Person beispielsweise nur in Haft genommen werden, wenn ihr Verhalten „eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder die innere oder äußere Sicherheit des betreffenden Mitgliedstaats berührt“.

Zugang zu personenbezogenen Daten

Gleichzeitig wird das Recht betroffener Personen, Zugang zu ihren personenbezogenen Daten zu beantragen, anscheinend wenig in Anspruch genommen. In einem Bericht von 2014 über das SIS II – die Datenbank, in der Schengen-Einreiseverbote zusammen mit jeder Menge weiterer Daten gespeichert werden, wurde festgestellt, im Vergleich zur Anzahl der Einträge gebe es eine geringe Zahl an Anträgen betroffener Personen in Ausübung ihrer Rechte.

In demselben Bericht stand, dass die meisten Staaten für die Verweigerung des Zugangs zu Daten keine Gründe angaben – eine Praxis, die sich nach einem Urteil des EuGH vom vergangenen Jahr ändern muss, in dem der Gerichtshof entschied, dass sich die Behörden nicht auf eine grundsätzliche Verweigerung des Zugangs berufen können.

Überdies müsse eine Person auch in der Lage sein, Rechtsmittel bei einer Justizbehörde einzulegen, die eine „Kontrolle des Vorliegens und der Stichhaltigkeit der Gründe für die Einschränkung dieser Informationen sowie der ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgabe der Aufsichtsbehörde, die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung zu überprüfen“, vornimmt.

Statewatch bittet Sie um Hilfe bei der Erhebung von Informationen

Statewatch hat einen Fragebogen veröffentlicht, um mehr Informationen über Fälle zu erheben, in denen Personen der Zugang zu Informationen, in denen sie als Sicherheitsbedrohung etikettiert wurden, verwehrt wurde, und in denen sie keinen Zugang zu einem wirksamen Rechtsbehelf erlangen konnten.

Die Ergebnisse werden als Grundlage für weitere Nachforschungen darüber verwendet, wie das Datenschutzrecht am besten genutzt werden könnte, um das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf sicherzustellen, um daraus Informations- und Bildungsmaterialien zu erstellen, die Rechtsanwälte, Unterstützungskräfte und Betroffene unterstützen sollen.

Den Fragebogen finden Sie hier.

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